von Margot Müller, Landessprecherin Hessen
Da wollen endlich die Frauen eine größeren Frauengruppe, die sich „Die Hälfte des Himmels“ nennt, bei uns Mitfrauen werden, und schon steht der alte Zankapfel Feminismus, d. h. stellvertretend das Adjektiv „feministisch“ im Namen unserer Partei wieder zur Disposition. Die neuen Frauen stört der Begriff und bei uns war er von Anfang an heiß umstritten. Er hat uns bisher auch nicht die Sympathien eingebracht, die wir erhofft hatten.
Zumindest mich wundert das nicht, denn der Begriff „Feminismus“ ist ein „Unwort“ und das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Sinnverwandte Begriffe wie „feministisch“ oder „emanzipiert“ teilen das gleiche Schicksal. Das weiß ich, habe ich doch, ich glaube es war in den Neunzigern des letzten Jahrtausends, in der Frankfurter Rundschau einen Artikel gelesen, der berichtete, dass Medienfrauen zu diesen Begriffen eine Studie durchgeführt haben. Den Artikel habe ich leider nicht mehr, aber sein Inhalt hat mich so beeindruckt, dass er mir heute noch in Erinnerung ist. Vielleicht kann mal eine dazu eine Internetrecherche anstellen.
Es wurde in diesem Artikel berichtet, dass die Studie ergeben habe, dass Frauen es fürchten, als Feministin oder Emanze angesehen zu werden und sich deswegen von den Begriffen „Feminismus“ oder „feministisch“ distanzieren, wenn sie über ihre politischen Wünsche oder Forderungen sprechen. Die Autorinnen der Studie waren auch den Gründen für dieses Verhalten nachgegangen und hatten dabei festgestellt, dass die Medien diese Worte in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle mit einer stark negativen Konnotation oder Bedeutung verwenden.
Um so mutiger erschien es mir, als ich ein paar Jahre darauf erfuhr, dass sich eine „feministische Partei“ gründen wollte. Da ich bekennende Feministin bin und mir die ängstliche Leisetreterei vieler meiner Mitstreiterinnen schon länger missfiel, hat mich das Projekt sofort interessiert. Nachdem ich das Programm gelesen und es für feministisch und innovativ befunden hatte, wurde ich Mitfrau, nicht zuletzt deswegen, weil ich diesen mutigen und intelligenten Frauen zutraute wirklich etwas zu bewegen.
Ich gebe zu, auch mir sind die Inhalte wichtiger als der Name, aber ohne die Bezeichnung „feministisch“ hätte ich mich für die Inhalte noch einer weiteren Partei, auch wenn sie von Frauen gegründet sein soll, nicht interessiert. Ich hätte, mit meinen fast vierzig Jahren politischer Erfahrung, wie auch schon bei der „Frauenpartei“ geglaubt, die werden entweder bald am Ende sein oder geschluckt werden.
Nach wie vor denke ich nämlich, dass es eine Frauenpartei nicht geben kann und die Idee einer solchen illusionär ist.
Diese Idee ist illusionär, weil Frauen als soziale Gruppe zu wenig gemeinsame Interessen haben. Es gibt reaktionäre, konservative und progressive Frauen. Die können zwar in einzelnen Punkte gemeinsame Ziele haben und sich verbünden, insgesamt wollen aber die Einen rückwärts, die Anderen vorwärts und wieder Andere wollen den Status quo möglichst erhalten. Der Kompromiss zwischen allen ist ein Hin- und Hergezerre um die Richtung in die es gehen soll, und daraus folgend die Agonie der Erschöpfung.
Daher kann sich eine Partei sich nicht sozial, sondern nur politisch definieren, wenn sie politischen Erfolg haben will. Frau sein ist kein politisches Programm. Eine politische Partei braucht ein politisches Programm und eine gesellschaftliche Perspektive, welches sich an eine in erster Linie politisch und nicht sozial oder gar biologisch definierte Zielgruppe richtet.
Der Feminismus geht weit über alle Bestrebungen nach Gleichberechtigung oder Gleichstellung der Frauen mit den Männern innerhalb einer patriarchalen und damit per Definition androzentrischen Gesellschaftsordnung hinaus. Der Feminismus ist die Theorie und Praxis von der Befreiung der Frau. Das Patriarchat ist eine Gesellschaftsordnung, in der Männer über Frauen und die Natur herrschen. Eine Befreiung der Frau erfordert die Abschaffung des Patriarchats und eine Erhaltung unseres Planeten als lebenswerte Welt. Damit ist der Feminismus eine Weltanschauung mit einer zukunftsorientierten, friedlichen, menschenfreundlichen und welterhaltenden Perspektive, die den zerstörerischen menschenfeindlichen Herrschaftsverhältnissen des Patriarchats unvereinbar gegenüber steht.
Da Frauen in allen bisher bekannten Gesellschaften, in denen es Herrschaft gibt, unterdrückt werden, brauchen wir eine herrschaftsfreie Gesellschaft, um die Befreiung der Frau Realität werden zu lassen. Da Herrschaft sich auf Ausbeutung begründet und die Ausbeutung und Unterwerfung der Frauen nach der feministischen Gesellschaftsanalyse historisch und aktuell das allen anderen Formen der Ausbeutung zugrunde liegende Herrschaftsverhältnis ist, brauchen wir eine Gesellschaft ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und ohne die zerstörerische Ausbeutung der Natur, um die Befreiung der Frau Wirklichkeit werden zu lassen. Ohne ein anderes, gerechteres, nachhaltig produzierendes Wirtschaftssystem werden wir mit unseren Bestrebungen nicht weit kommen.
Die patriarchale Weltordnung und das kapitalistische Wirtschaftssystem sind in unserer Gesellschaft die heiligen Kühe, die nicht angetastet werden dürfen. Schon die Infragestellung in Wort und Schrift hat Repressionen zur Folge. Da ist es zugegebenermaßen sicherer, die wahren Ansichten oder Absichten geheim zu halten.
Aber was bringt uns das andererseits? Einen leichteren und schnelleren Zugang zu den Parlamenten? Die Politik des Kreismitfrauenverbandes Darmstadt spricht dafür. Die Frauen dort verschweigen nach Kräften das „feministisch“ und der Erfolg – als bisher erste und einzige Mitfrau ist Barbara Obermüller in Darmstadt Stadtverordnete geworden- scheint ihnen Recht zu geben. Barbara hat dort die Gelegenheit das zu tun, weswegen wir eine Partei gegründet haben. Sie stellt in der Stadtverordnetenversammlung intelligente Anträge, die sogar wie wir uns das ja wünschen, von Frauen der anderen Fraktionen unterstützt werden.
Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass die aufreibende Arbeit der Frauen des Kreismitfrauenverbandes Darmstadt für diesen selbst keine Vorteile zu haben scheint. Es gibt dort weder einen Zuwachs an Mitfrauen, noch an Spenden, noch wird der KMV oder die Feministische Partei DIE FRAUEN im Zusammenhang mit diesen Erfolgen in der Presse erwähnt. Die schreiben, wenn überhaupt, nur dass die Stadtverordnete Barbara Obermüller diesen oder jenen Antrag eingebracht hat, ohne dabei zu erwähnen, welcher Partei diese angehört.
Dies ist m. E. kein Zufall, sondern hängt direkt damit Zusammen, dass einerseits die Darmstädterinnen den Kreismitfrauenverband mehr wie eine lokale Wählerinneninitiative als wie eine Gliederung der Feministischen Partei DIE FRAUEN behandeln und dies andererseits den Bestrebungen der anderen Parteien, sowohl von den Erfolgen unserer Arbeit mit zu profitieren als auch die lästige Konkurrenz totzuschweigen, sehr entgegenkommt.
Damit wiederholt sich beim Kreismitfrauenverband Darmstadt eine Struktur, die für die gesamte Frauenbewegung in Deutschland und auch die Feministische Partei DIE FRAUEN charakteristisch zu sein scheint:
Es gibt einige wenige Frauen, die aufopferungsvoll für eine Verbesserung der Lage der Frauen arbeiten, bis sie ausgebrannt sind, während die große Mehrheit der Frauen von deren Erfolgen profitieren ohne in vielen Fällen auch nur zu ahnen, welchen konkreten Umständen sie diesen warmen Regen zu verdanken haben. Die meisten Menschen in diesem Lande halten soziale Verbesserungen für einen Automatismus, der durch ökonomisches Wachstum betrieben und durch die Anstrengungen der Berufsgruppe der Politiker lediglich in Gang gehalten wird. Und für diesen Service werden die Politiker mit Steuergeldern bezahlt. Die geeigneten Jobkandidaten werden statt durch die Entscheidung eines Chefs mittels der Wählerentscheidung bei den Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen ausgewählt. Und selbstverständlich spiegelt sich dieses, nicht nur bei Männern sondern auch bei Frauen vorherrschende patriarchale Weltbild, auch im politischen Bereich nieder: Frauen sind das schwächere Geschlecht und leisten weniger als Männer. Und diesem Vorurteil folgend werden Frauen nicht nur seltener als geeignete Kandidaten ausgewählt, ihre Leistungen werden auch weniger wahrgenommen.
Wir verdanken es ausschließlich dem Feminismus, der feministischen Gesellschaftsanalyse und dem Engagement der Feministinnen, dass diese Mechanismen aufgedeckt und anschließend wenigstens punktuell durchbrochen werden konnten.
Wenn Frauen aber die feministische Gesellschaftsanalyse – die es ihnen überhaupt erst ermöglicht hat zu erkennen, dass ihre nach patriarchaler Sichtweise persönlichen und privaten Probleme politischer Natur sind – und damit ihren Feminismus verheimlichen, dann können diese feministische Gesellschaftsanalyse und der Feminismus nicht mehr ihre Wirkung entfalten und ausdehnen. D. h. wir untergraben die Grundlage unseres Erfolges und unserer Existenz als Partei, wenn wir unsere waren Ansichten und Absichten verheimlichen. Und die Mehrheit der Frauen wird niemals erfahren, was eigentlich die Ursache ihrer Probleme ist und sich weiterhin selbst die Schuld geben, statt sich politisch zu organisieren.
Wenn wir wollen, dass mehr Frauen Frauen wählen oder, noch besser, sich politisch engagieren, dann werden wir nicht umhin können als weiterhin beständig patriarchale Mythen zu entlarven und aufzuzeigen, inwiefern „das Private das Politische“ ist. Denn ist es auch wahr, dass eine bedrückende Lebenslage und die Doppelbelastung Frauen an einem politischen Engagement hindert, so gilt dies nicht im Umkehrschluss, wie jede beobachten kann. Schlichtweg ist es keineswegs so, dass das politische Engagement der Frauen proportional zu ihrem Einkommen oder den vorhandenen Kindergartenplätzen zunimmt. Manch einer hat die politische Rückenstärkung durch den Feminismus und die Feministinnen mehr geholfen als ein Kindergartenplatz, zum Beispiel dadurch, dass es ihr den Mut gab, sich gegenüber ihrem Partner durchzusetzen und diesem die Kinderbetreuung zu überlassen, während sie ihrer politischen Betätigung nachgeht.
Solange wir diese Erfahrungen des Aufdeckens patriarchaler Mechanismen und die daraus resultierende Erfahrung der gemeinsamen Aktion und der Solidarität nicht weitergeben, solange wir keine Brücke schlagen zwischen den Kämpfen der Vergangenheit mit ihren Siegen und Niederlagen, den heutigen Errungenschaften und den Zielen die wir für die Zukunft haben, solange werden wir darauf beschränkt bleiben das Patriarchat zu verbessern statt es abzuschaffen. Die Erforschung, Bewahrung und Weitergabe von Frauengeschichte ist ein wichtiger Bestandteil des Feminismus. Woher wollen wir wissen, dass wir etwas anders machen, wenn wir nicht wissen wie es früher war? Ohne Kenntnis der Geschichte wissen wir nicht, ob wir uns nach vorne, in eine bessere Zukunft bewegen oder im Kreis gehen und die Fehler unserer Vorfahrinnen wiederholen, deren Matriarchate untergegangen sind.
Taktisch gesehen kann es sehr wohl von Vorteil sein, den allen Wasserträgern des Patriarchats verhassten Begriff des Feminismus fallen zu lassen. Aber welcher Strategie ordnet sich eine solche Taktik denn unter? Eine Taktik aber, die sich keiner Strategie unterordnet bleibt im Sumpf des Hier und Jetzt der sogenannten Realpolitik stecken, sie kann keine Perspektive weisen. Bringt es uns denn vorwärts, wenn wir um einen Schritt vorwärts zu machen, also in die Parlamente zu kommen, zwei Schritte rückwärts machen indem wir unseren Wunsch nach Befreiung aufgeben, unser ebenso machtvolles wie bedrohliches Wissen über die gesellschaftlichen Zusammenhänge, das aus der feministischen Gesellschaftsanalyse resultiert, verleugnen und tagtäglich perspektivlos unser Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht von Reförmchen verkaufen? Ist das nicht frustrierend? Und glaubt Ihr, das hört auf wenn wir erstmal im Parlament sind? Die Erfahrungen der Darmstädterinnen, aber auch die anderer Parteien, der SPD, der PDS und der Grünen zeigen, dass dem nicht so ist. Es wird dann nicht leichter, sondern schwerer. Alle gesellschaftspolitischen Ansätze, die grundsätzlich an den bestehenden patriarchalen Machtverhältnissen rühren, werden vom Patriarchat mit allen Mitteln bekämpft. Wenn das Totschweigen nicht mehr hilft, fangen die bösartigen Attacken an. Das Erlangen von Macht ist immer an Bedingungen geknüpft. Entweder an eine sukzessive Kooperation mit den Herrschenden, das ist der leichte Weg oder an den Rückhalt in einer klaren und starken politischen Bewegung mit ebensolchen Inhalten und einem Programm das Perspektiven aufzeigt. Das ist sicherlich der schwerere Weg. Aber es geht uns ja nicht um das Erlangen von Macht schlechthin durch Anpassen an patriarchale Strukturen, sondern um die Verwirklichung unserer Ziele und die Veränderung unserer Welt zum Besseren hin.
Mit der Diskussion um das „feministisch“ in unserem Namen stehen wir erneut an der Wegscheide zwischen diesen beiden Wegen. Den schwereren Weg sollten wir nur wählen, wenn wir das wirklich wollen und uns unserer Sache sicher sind. Wenn wir auch wirklich in der Lage sind, diesen Begriff mit Inhalten füllen und diese Inhalte und unsere Ziele ebenso vehement gegen alle Widrigkeiten zu verteidigen, wie es die Frauen taten, in deren Fußstapfen wir treten. Diese Frauen, von Anita Augspurg bis Clara Zetkin, haben uns gezeigt, dass selbst eine schrittweise Verbesserung der Lage der Frau nur durch eine ganzheitliche Patriarchatskritik und einen mutigen sowie konsequenten Einsatz zu erlangen ist. Moderatere Mitläuferinnen, die sich dann im Schutze unserem Windschattens trauen, Reformen zu befürworten und Männer, die diesen Mitläuferinnen aus Angst vor Schlimmeren, nämlich uns, dann zustimmen, werden sich schnell finden, wenn es uns gelingt unsere Ziele und die feministische Gesellschaftsanalyse, aus der sie sich ergeben an die unter der patriarchalen Herrschaft leidenden Frauen zu vermitteln – und was das anbelangt stehen wir noch sehr am Anfang und können uns noch sehr verbessern – aber vor allem ist es wichtig diesen Frauen Mut zur Auflehnung gegen diese Herrschaft und zum Aufrechten Gang zu machen.
Wie aber sollen wir anderen Frauen den Mut zur Auflehnung einflößen, wenn wir selbst uns nicht trauen, offen zu unseren feministischen Inhalten zu stehen, indem wir sie im Namen unserer Partei führen?